In loser Reihenfolge erscheinen hier satirische Beobachtungen aus Tobis Feder. Viel Spaß beim Lesen.
Also, wir Nörgeln doch so gern. Wir sind, sorry, ganz einfach ein Volk der Nörgler. Ist doch viel einfacher zu sagen: "Ach, mein Gott, heute war wieder alles so Scheiße, hätte besser gleich im Bett bleiben sollen", oder dem Kellner folgende Worte um die Ohren zu hauen, auf die Frage: "Hat´s denn geschmeckt?" "Also wissen sie, hören sie mal, das war ja wirklich eine absolute Katastrophe, die Tagliatelle matschig, die Soße fade, und, na ja, die Austernpilze musste man auch mit der Lupe suchen, also, wir kommen ganz bestimmt nicht wieder". Aber den Teller ratzekahl leer gegessen, und die Soßenreste noch mit dem letzten Stück Ciabatta vom Tellerrand gedipt. Und die halbe Welt hungert. Das haben wir gern. Und erst das Nörgeln in den unsagbaren, unzähligen Dinner Shows im TV. Ein Hauch zu viel vom Schmauch, eine Nuance zu viel von der Schmonze. Zu früh, zu spät, zu süß, zu sauer, zu bitter, zu warm, zu kalt, zu frisch, zu alt, geht gar nicht, ist nicht meins. Könnt´ ich mich so was von drüber aufregen, könnt ich so was von den überkandidelt, überdekorierten Tisch zusammen kloppen, wenn ich nur ein zur Gewalt neigender Mensch sein würde, du liebe Currywurst. Tu ich aber leider nicht. Das ist doch ein Abendessen und kein Dekoladen. Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt! Schon vergessen? Wo genörgelt werden kann, nörgeln wir eben. Übers Arbeiten zum Beispiel: Arbeiten ist sowieso Scheiße, grundsätzlich, egal, wann und wo. "Oh Gott, morgen muss ich wieder zur Arbeit, ich hab´ echt keinen Bock!" Und das nach drei Wochen Mallorca, und zwei Wochen Krankschreibung. Na ja, danach braucht man ja auch erst mal zwei Wochen Urlaub. Und erst die Schlange an der Aldi-Kasse am Freitag um 19.55 Uhr. Als hätten wir es nicht vorher gewusst. War es letzten Freitag nicht genauso, und vorletzten, und vorvorletzten? Und hat Aldi nicht eigentlich sechs Tage die Woche geöffnet? Und auch schon ab 8:00 Uhr morgens? Aber natürlich müssen wir alle um 19.50 Uhr den Laden stürmen. Unter dem Motto: "Hilfe, ich werde dieses Wochenende verhungern, wenn ich nicht sofort den Wagen bis oben hin vollpacke!" Und fünf Minuten später, ran an die gestresste Kassiererin, die die einzig geöffnete Kasse bedient, und sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich nach Hause gehen zu dürfen. „Machen sie nochmal ´ne Kasse auf! Nur eine Kasse am Freitagabend? Ist ja eine Unverschämtheit sondergleichen. Was für eine Organisation. In Zukunft werde ich woanders einkaufen!" Was für eine Drohung."Mach doch blöde Kuh", denkt die Kassiererin, und ich denke:" Ich steck´ dich gleich mit deinem Kopf in deinen völlig überfüllten Einkaufswagen! Was für vollkommen überzuckerte Schwachsinnsprodukte, die wirklich nicht nur kein Mensch braucht, sondern auch noch fett und krank machen, hast du denn wieder im Fresssuchtwahn einer komplett verfettenden Wohlstandsgesellschaft in deinen alltäglichen Warenkorb gepackt?“" Bleibe aber ganz cool als letzter in der Reihe stehen, der Kassiererin einen mitleidsvollen Blick zuwerfend. "Tut mir leid, dass es so blöde Leute gibt". Und sie wirft mir einen verzweifelten Blick zurück, den ich so deute:"Ich kann nicht mehr, wirklich nicht. Ich schmeiß´ jetzt sofort alles hin, und kündige". Sie denkt aber gleichzeitig an ihren fünfjährigen Sohn, der jetzt sehnsüchtig, bei der Oma geparkt, darauf wartet, dass Mama ihm die Negerküsse mitbringt, die heute wieder aus dem Regal gefallen sind. Nörgeln macht eben Spaß. Besonders, wenn man dabei in dem Moment vermeintlich Schwächere fertig machen kann. Wie feige. Wie hinterhältig. Wie spießig. Wie gemein. Frag´ doch nächstes Mal den bulligen Türsteher von der Disco am Hans Albers Platz, wenn der sich mal wieder kurz vor Toresschluss in die Polposition drängt, ob er sich nicht gefälligst, genau wie alle anderen, hinten anstellen kann? Das wäre wirklich mal sinnvolles Nörgeln, an der richtigen Stelle, gewesen. Traut sich aber natürlich keiner. Nicht diesen Freitag um 19.55 Uhr, nicht den letzten, und erst recht nicht den vorletzten. Aber so, einfach nur feige, und gemein. Armseliges Verhalten. Absolut hirnlos. Könnte ich mich so was von drüber aufregen. Über solche Leute, die immer nur an der falschen Stelle am Nörgeln sind. Nörgeln hilflose Kassiererinnen an. Augenscheinlich überforderte Kellner. Den Busfahrer, weil der Bus so voll ist. Als, wenn der was dafür könnte. Kellnerinnen, weil das Restaurant überfüllt ist. Als, wenn die was dafür könnten. Toilettenfrauen, weil die Toilette verstopft ist. Na ja, vielleicht kann sie ja schon was dafür, aber selbst gemacht hat sie es doch ganz sicher nicht. Taxifahrer, weil sie auf dem Weg zum Flughafen im Stau stehen. Entertainer, weil sie überhaupt nicht lustig sind, und schon seit zwanzig Jahren keinen Erfolg haben. Alle werden zugenörgelt, mit eigentlich gegen sich selbst zu richtendem Frust über das kleine, mehr als mittelmäßige, verpatzte Leben. Oder sie meinen eben weit über diesem niederen Dienstleistungspersonal einer kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft zu stehen, die sich gerade mit ihrem Reise-, Konsum- und infantilem Eventgedönse den finalen Schuss setzt. Hat uns da nicht gerade (und wir sind tatsächlich noch mittendrin!) ein Virus dazu aufgefordert unser Verhalten gegenüber diesem wundervollen Planeten (und erst recht gegenüber den Schwächsten in dieser Gesellschaft!) komplett zu ändern?! Aber nein, der Bundestag applaudiert euphorisch über ein von der Bundesregierung ausgewiesenes Sondervermögen, das der weiterhin seine schmutzigen Geschäfte treibenden Rüstungsindustrie mal wieder Milliarden zuschanzt. Ich wäre stolz auf ein Land, das im dritten Jahrtausend endlich mal wirklich Position bezieht, im Sinne der friedlichen Weiterführung der Menschheitsgeschichte und sich als neutral erklärt. Ergo keinen einzigen Cent mehr für die Aufrüstung ausgibt. Wird aber mal wieder nix, wohl alles nix. Denn so ausverkaufen wir Stück für Stück weiterhin diesen wunderbaren Planeten und verhöhnen auf zynische Art und Weise die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Wir alle, die wir uns jetzt einen neuen SUV, einen voll digitalisierten Camper gekauft haben und die Strände wie die Ölsardinen bevölkern, als gäbe es kein morgen. Mal wieder stopfen sich wenige ins Unermessliche die Taschen, während wir einen Großteil der Menschheit komplett abhängen. Auch in diesem Land. Soll dass wirklich so kommen? Könnte ich mich wirklich so was von drüber aufregen. Könnte ich so was von mit der Kettensäge drüber gehen, wenn ich nur ein zur Gewalt neigender Mensch wäre. Doch, der Konjunktiv hat ja bekanntlich im Leben noch niemals wirklich weiter geholfen. Und da ich jetzt nicht weiter nörgeln will, mach ich lieber Schluss.